Phantasiesätze, 2017, Dane Komljen

Birgit Kohler

Dass es "so weiter" geht, ist die Katastrophe.

Ausgehend von Walter Benjamin lassen sich die sechs dokumentarischen Arbeiten dieses Programms als Katastrophenfilme beschreiben – die Katastrophen sind hier nicht das Bevorstehende, sondern das Gegebene. Ereignisse der Zeitgeschichte fallen genauso darunter wie katastrophische Erschütterungen in persönlichen Lebensläufen, und meist hat das eine mit dem anderen zu tun. Das Elend eines Wendeverlierers in Ostdeutschland, die Chuzpe eines mordenden Söldners und auch die psychische Krise einer filmemachenden Frau verorten sich im gesellschaftlichen Zusammenhang. Politisch macht diese Filme aber nicht zuletzt ihre Form. Sie bewegen sich auf Feldern, die regelmäßig kontroverse Diskussionen entfachen – die Abbildung prekärer Lebensverhältnisse, der Umgang mit Tätern und Opfern, die Darstellung von Grausamkeit, das Thematisieren von intimen Befindlichkeiten in der ersten Person – und haben mit der Gefahr der Bloßstellung bzw. dem Risiko der Nabelschau umzugehen. Alle vermessen Nähe und Distanz auf eigene Art. Dass sie dabei jenseits etablierter Formatierungen der Repräsentation arbeiten, sich nicht an die üblichen Regeln halten, Konventionen hinterfragen, die eigenen Überzeugungen erschüttern, Unruhe stiften, Unbehagen auslösen, irritieren und verstören, dass sie, kurz gesagt, zum Denken herausfordern, macht sie im Sinne Amos Vogels: subversiv.

Birgit Kohler wird während der Viennale anwesend sein und die Vorführungen mit Einführungen und Gesprächen begleiten.

MO 25. Oktober 21.15 | MI 24. November 18.30
Programm Birgit Kohler I
Phantasiesätze 2017, Dane Komljen
Das Block 2006, Stefan Kolbe und Chris Wright
In Anwesenheit von Dane Komljen am 25. Oktober
 
DI 26. Oktober 18.30 | MI 24. November 21.00
Programm Birgit Kohler II
Sieben Mal am Tag beklagen wir unser Los und nachts stehen wir auf, um nicht zu träumen 2014, Susann Maria Hempel
Terra de ninguém (Niemandsland) 2012, Salomé Lamas
In Anwesenheit von Salomé Lamas am 26. Oktober
 
MO 25. Oktober 11.00 | DO 25. November 18.30
Programm Birgit Kohler III
Measures of Distance 1988, Mona Hatoum
Demain et encore demain/Journal 1995 (Morgen und wieder morgen/Tagebuch 1995) 1997, Dominique Cabrera

Birgit Kohler ist Ko-Direktorin des Arsenal – Institut für Film und Videokunst in Berlin. Von 2002–2019 war sie Mitglied im Auswahlkomitee des Berlinale Forum, als Interims-Leiterin verantwortete sie 2019 das Hauptprogramm der Sektion. Ihre kuratorischen Projekte, Veröffentlichungen und Lehrveranstaltungen befassen sich vor allem mit dem zeitgenössischen Dokumentarfilmschaffen und einer großen Bandbreite künstlerischer Positionen des internationalen Kinos der Gegenwart. Zuletzt Autorin von "Spielarten des Dokumentarischen – Politik und Ästhetik im Kino von Anja Salomonowitz", in: Isabella Reicher (Hrsg.): Eine eigene Geschichte. Frauen Film Österreich seit 1999 (Sonderzahl, 2020).
Zusätzliche Materialien