Just A Movement, 2021, Vincent Meessen

Nicole Brenez

Bild-Dialoge in der Zeit der sechsten Auslöschung

Wenn wir Amos Vogels Buch Film as a Subversive Art zu seinen Ursprüngen zurückverfolgen, was seine Zielsetzungen, Struktur, Kuratierung und Gestaltung betrifft, so zeigt sich, dass es aus den Erfahrungen entstand, die Vogel beim Programmieren von Cinema 16 gemacht hatte. "Cinema 16 soll zweierlei Zwecken dienen. Indem bessere und avantgardistische Filme gezeigt werden, wird es zur steigenden Wertschätzung von Film als eine der wirkungsvollsten Kunstformen beitragen. Indem dokumentarische und wissenschaftliche Werke sowie Lehrfilme gezeigt werden, wird es dem Publikum ein gereifteres Verständnis des Wesens dieser Welt und ihrer zahlreichen Probleme ermöglichen." (Vogel in der "Absichtserklärung" von Cinema 16.) Welche Probleme? 1948: Nachdem die Menschheit ihre unglaubliche Fähigkeit für Hass und Zerstörung unter Beweis gestellt hat, gilt es eine ganze Welt wiederaufzubauen. Für Vogel ist Kino ein kritischer Faktor bei dieser Neugestaltung. Subversion ist das wirksamste Werkzeug dafür, dazu imstande, jede tödliche politische oder religiöse Ideologie zu zerschlagen, ebenso wie alle Vorurteile, egal welchen Ursprungs. Leider fällt es nicht sehr schwer, Vogels damalige Situation auf unsere heutige zu übertragen: Uns droht die Zerstörung von allem, was lebt, und die Verantwortung dafür trägt nicht etwa eine Ideologie, sondern die Menschheit an sich. Müsste sich die Subversion nicht gegen uns selbst richten? Also haben wir beschlossen, in unserem Tribut an Amos Vogel Filme zu zeigen, die erst kürzlich entstanden sind und die nach den zwei Gesichtspunkten ausgewählt wurden, die für seine kuratorische Praxis maßgeblich waren: herausfordernde Bilder verteidigen; konstruktive Bilder unterstützen. Unsere drei Programme ermöglichen die Form eines Bild-Dialogs: mit Bildern der Vergangenheit in jedem der Filme; und zwischen den Filmen mit anderen möglichen Bildern, ent-industrialisiert, anti-anthropozentrisch, dazu imstande, Kino von seinem Status als kulturelle Ware innerhalb der Gesellschaft des Spektakels und der Konsumgesellschaft zu befreien, und es als Kunst und Handwerk neu zu legitimieren.
 
Nicole Brenez wird während der Viennale anwesend sein und die Vorführungen mit Einführungen und Gesprächen begleiten.
 
SA 30. Oktober 21.30 | MO 1. November 18.30

Programm Nicole Brenez I
Diagnose, rückwärts

Cinetracts 2017, Marine Hugonnier
Giverny's Cusp 2019, Marine Hugonnier
 
FR 29. Oktober 21.15 | MO 1. November 21.00

Programm Nicole Brenez II
Ent-Hierarchisieren, vertiefen

Nou voix 2018, Maxime Jean-Baptiste
Just A Movement 2021, Vincent Meessen
In Anwesenheit von Maxime Jean-Baptiste am 29. Oktober

SO 31. Oktober 11.00 | DI 2. November 21.00

Programm Nicole Brenez III
Ent-Anthropozentrieren, neuorientieren

The Mirror of Possible Worlds 2020, Fergus Daly
Birds by the Sea 2008, Wolfgang Lehmann
Filmatruc à verres n°2 (compte-rendu d'installation) 2010, Silvi Simon
Filmatruc à verres n°4, Orage (compte-rendu d'installation) 2012, Silvi Simon
brouillard #14 2013, Alexandre Larose
Lightning Dance 2018, Cecilia Bengolea
Herbs (élément d'installation, extrait) 2019, Silvi Simon
A Floral Tribute for Essex Road 2019, Jayne Parker
Phytography 2020, Karel Doin
Promenade 1 20201, Zélie Parraud
Promenade 2 2021, Zélie Parraud
In Anwesenheit von Fergus Daly am 31. Oktober
 
Nicole Brenez ist Professorin für Filmwissenschaften an der Universität Paris III – Sorbonne Nouvelle, Leiterin der Abteilung "Analyse et culture cinématographique" an der Pariser Filmschule La Fémis seit 2017, Kuratorin der Avantgardefilmreihen der Cinémathèque française seit 1996. Zusammen mit Philippe Grandrieux produziert sie "It May Be That Beauty Has Strengthened Our Resolve", eine Sammlung von Arbeiten über revolutionäre Filmschaffende, die von der Filmgeschichte vergessen oder vernachlässigt wurden. Ihr jüngstes Buch ist Manifestations (De l'Incidence, 2020).
Zusätzliche Materialien