Demy / Varda: Filme von Jacques Demy
2. bis 29. Oktober 2006
Parallel zur Nouvelle Vague formte sich im Frankreich der 50er Jahre eine andere filmische Erneuerungsbewegung: politisch eher progressiv denn bürgerlich, geprägt von moderner Literatur, sehr spielerisch und vom Dokumentarischen ebenso fasziniert wie von den populären Fiktionen.
Diese Bewegung wurde "Rive Gauche" genannt – in Abgrenzung von der Nouvelle Vague, die man auf der anderen Seite der Seine, dem rechten Ufer beheimatet sah. Sie umfasst Protagonisten wie Chris Marker und Alain Resnais sowie, allen voran, Agnès Varda und Jacques Demy.
Demy passte nie so recht in die Schubladen der Kritik: Er war vieles gleichzeitig und verstand es, diesen Umstand in vollkommene Filmformen zu gießen. Demy war ein experimentierfreudiger Populist, ein verschmitzter Revolutionär, Querdenker, Utopist. Er drehte Singspiele und Musicals über proletarische und kleinbürgerliche Lebenswelten – Les Parapluies de Cherbourg (1964), Les Demoiselles de Rochefort (1967), Une chambre en ville (1982) – und fröhlich perverse, poppige, manchmal sehr erwachsene Kunstmärchen (Peau d’âne, 1970; The Pied Piper, 1972).
Er unternahm eine frühe Annäherung an den japanischen Manga (Lady Oscar, 1979) und ließ sich auf eine Boulevardkomödie ein, deren genderbending in Japan besser verstanden wurde als im Westen (L’Evénement le plus important depuis que l’homme a marché sur la lune, 1973).
In all diesen Filmen strebte Demy nach dem Gleichmaß von "Marionetten theater" und Faktenschöpfung, Distanz und Verschmelzung mit dem Publikum – getrieben von einer Sehnsucht nach dem Ephemeren der Kindheit, ihren Farben und Düften. Im unterirdischen Netzwerk des französischen Kinos steht Jacques Demy in lebendiger Verbindung mit Jean Cocteau, Robert Bresson, Max Ophüls.
1931 in der Provinz Loire-Atlantique geboren, verbrachte Demy die Zeit des Zweiten Weltkriegs im Hinterland, bei einem Holzschuhschnitzer, einem der letzten seiner Zunft. Diesem Mann und seiner Kunst widmete er seinen ersten größeren Kurzfilm, Le Sabotier du Val de Loire (1955). Schon als Kind hatte er kleine Streifen realisiert – die Passage Pommeraye, wo er seine erste Kamera erstand, taucht immer wieder in seinen Filmen auf, als magischer Ort auf Erden.
Seine ersten professionellen Erfahrungen, nach Abendkursen an der Kunstschule in Nantes und einem Filmstudium in Paris, machte er mit Werbefilmen, die er während seiner Zeit bei Paul Grimault, einem Meister der Animation, inszenieren konnte. Bald suchte sich Demy, der Mann der Gegensätze, einen weiteren Lehrmeister: Der Dokumentarist Georges Rouquier ermöglichte ihm mit Le Sabotier seinen "richtigen" Einstieg ins Metier.
Lola (1961), Demys Langfilmdebüt, wurde mit seiner Mischung aus vérité und Stilisierung zu einer Sensation. Hier erzählt er die erste von vielen Geschichten über doppelte, parallele Identitäten, über die Masken des Begehrens und jene des Alltags, über die Wahrhaftigkeit der Populärkultur. Jahre später, in Model Shop (1969), wird die Figur der Lola wieder auftauchen, diesmal in Los Angeles.
Und in Demys Welterfolg Les Parapluies de Cherbourg lässt Lolas Verschmähter ein anderes Liebespaar genau so leiden, wie er selbst in Lola hatte leiden müssen: Das Herzeleid geht weiter, durch das ganze Leben, und ein jeder ist dazu verdammt, einem anderen das Herz zu brechen.
Les Parapluies de Cherbourg gebar auch bald das Kernklischee seiner Karriere: Demy, der Mann der Musicals, des cinéma enchanté (verzaubert) und en chanté (gesungen). Große Erfolge waren ihm nach den 60er Jahren kaum noch vergönnt, sein Schaffen der 70er Jahre harrt jedenfalls einer radikalen Neubewertung.
Erst in den 80er Jahren konnte er wieder für freudige Erregung sorgen: mit seinem letzten – und vielleicht größten – Singspiel Une chambre en ville über den Kampf der Arbeiter und den Exzess des Melos, und seinem lange gehegten Traumprojekt mit Yves Montand, Trois places pour le 26 (1988). Den wunderbaren (Spiel-)Film über seine Kindheit, Jacquot de Nantes von seiner Frau Agnès Varda, konnte Demy noch bis zum Rohschnitt verfolgen. Die Premiere in Cannes, 1991, erlebte er nicht mehr.
Mathieu Demy und Rosalie Varda-Demy werden bei einigen Vorstellungen anwesend sein und über die Filme ihres Vaters sprechen. Begleitend zur Retrospektive erscheint eine umfangreiche Publikation der Viennale.