Romuald Karmakar
20. März bis 7. April 2010
Romuald Karmakar, Jahrgang 1965, ist eine der überragenden Gestalten, die das Kino seit 1980 hervorgebracht hat. Mit seiner konsequenten „Arbeit an Deutschem“, seinem extremen Genauigkeitsanspruch und seiner filmischen Methodik nimmt er eine Ausnahmeposition ein, die vor allem international (im Filmbereich wie in anderen Kunstsparten) starken Widerhall gefunden hat. Der offiziellen Filmbranche in den wiedervereinigten deutschen Ländern ist sein Schaffen eher unheimlich geblieben. Dies hat wohl auch mit mangelnder Anpassung zu tun: Karmakar, der seine Schulzeit auf dem deutschen Gymnasium in Athen und seinen Militärdienst bei der französischen Armee verbracht hat, steht eher den „Fremdenlegionären” und Exilanten des deutschen Kinos nahe – oder amerikanischen Mavericks wie John Cassavetes und Monte Hellman.
Karmakars erster Langfilm Eine Freundschaft in Deutschland (1985) beginnt mit einem Satz, der sich auf sein ganzes Schaffen anwenden lässt: „In diesem Film ist alles Dokumentarische real und alles Fiktive nicht unbedingt falsch.“ Traditionelle Gattungsgrenzen sind ihm weniger wichtig als leidenschaftliche Recherche zu verdrängten oder vernachlässigten Themen und die Findung einer geschärften, widerstandsfähigen Form. Karmakar veranstaltet Tiefenbohrungen an schmerzempfindlichen Stellen, das Ergebnis sind einige der zentralen Filme der letzten Dekaden. Z. B. Das Himmler-Projekt, in dem der Schauspieler Manfred Zapatka eine berüchtigte Rede von Heinrich Himmler wiedergibt – eine genresprengende Rekonkretisierung von Geschichte (und eben keine historisierende „Rekonstruktion“), die sich zum vorherrschenden Diskurs über die NS-Ära quer stellt und dabei, über den langen Abspann hinweg, auch die Nachkriegszeit mit einschließt. Romuald Karmakar: „Ein Film über die Bonner Republik.“
Schon das Frühwerk – Eine Freundschaft in Deutschland (mit Karmakar in der Rolle Adolf Hitlers) oder die Autoerotik-Apotheose Candy Girl – zeigt die Entwicklung einer eigenständigen Filmsprache und Haltung. Karmakars Sozialisation in München, zwischen Fußball, Kino und Punk, bildet dafür den Hintergrund. Bekannt wurde er bald darauf mit drei dokumentarischen Arbeiten über Menschen, Tiere und Stress-Spiele – Coup de boule, Gallodrome und Hunde aus Samt und Stahl (1987-89). Mit ihnen beginnt auch die merkwürdige Debatte über Karmakars Vorliebe für „unmögliche“ Menschen und Sujets. Sein gewaltiges Epos Warheads (1992) stellt diesbezüglich den Höhepunkt dar: Karmakars vorurteilslose Darstellung zweier Söldner wurde zum Affront für ein pädagogisch gestimmtes Publikum, das die Konfrontation mit der Widersprüchlichkeit und Fülle eines „anderen“ Lebens und Denkens nicht annehmen wollte.
Es ist genau diese Weigerung, vorgefertigte Passmuster über seine Sujets zu legen, die auch den Spielfilmregisseur Karmakar auszeichnet. Das Kammerspiel Der Totmacher (1995), gefeiert und preisgekrönt unter der Headline „Götz George als Serienmörder“, ist emblematisch für seine Arbeit mit historischen Quellen – und für sein Verständnis des Schauspielers als einer Sonde, die in den Text hinein gesenkt wird: „Der Totmacher ist ein Dokumentarfilm über Schauspieler.“ Karmakars Ethos der filmischen Konstruktion macht keinen Unterschied zwischen den Vorlagen: Literarische Texte werden mit derselben Akribie durchgearbeitet und inszeniert wie Archivdokumente. Das Frankfurter Kreuz, die wunderbare Verfilmung eines Hörspiels von Jörg Fauser, steht dafür ebenso ein wie das Meisterwerk Manila, das in Zusammenarbeit mit Bodo Kirchhoff entstand. Mit dieser vielstimmigen Tragikomödie über Fluggäste im Zustand des Wartens und Ausrinnens, entwirft Karmakar einen beunruhigenden Querschnitt der deutschen Gesellschaft zur Jahrtausendwende. Darauf folgt ein echter Totentanz, eine in Entfremdung erstarrte Zweierbeziehung: Die Nacht singt ihre Lieder. Diese Adaption eines Theatertexts ist auch der vorläufige Höhepunkt in Karmakars Beschäftigung mit Sprache und/als Musik.
Das Himmler-Projekt war Karmakars Ausbruch aus dem lähmenden Dickicht der Filmförderung: Seither produziert er praktisch im Alleingang grandiose Digitalkinodokumente in Serie. Hamburger Lektionen führt die Methode des Himmler-Films weiter: Manfred Zapatkas Vortrag offenbart hier die tödliche Rhetorik in den „Lektionen” eines einflussreichen Hamburger Imams. Land der Vernichtung, das Dokument einer Recherche für einen Spielfilm, wird zum erschütternden Essay über (verschüttete) Spuren des Holocaust – im Jahr, als Der Untergang Schlagzeilen machte. Parallel dazu folgt Karmakar seiner Leidenschaft für Techno und elektronische Musik und erschließt dieses filmisch weitgehend ignorierte Terrain mit einer bahnbrechenden Trilogie: Der Love-Parade-Dreiakter 196 bpm, das Performance-Panorama Between the Devil and the Wide Blue Sea und das DJ-Porträt Villalobos vermitteln die Produktion, Präsentation und Erfahrung von Musik direkt und ohne „Styling“. Wie alles im Karmakar-Kino geben sie mit einer ungeahnten, manchmal verstörenden Wahrhaftigkeit Sounds zu sehen und Welten zu hören, die sonst verschlossen oder unerkannt bleiben.
Die Retrospektive findet in Kooperation mit der Diagonale in Graz statt, die dem Regisseur eine Hommage widmet. Romuald Karmakar, Manfred Zapatka sowie der Dichter Hartmut Geerken werden für Publikumsgespräche und Werkstatt-Präsentationen im Filmmuseum zu Gast sein. Am 22. 3. führen Zapatka und Karmakar ein einleitendes Gespräch zu Utopia (1983) von Sohrab Shahid Saless.
Das Buch "Romuald Karmakar" von Olaf Möller und Michael Omasta, Band 13 der FilmmuseumSynemaPublikationen, wird in Anwesenheit des Regisseurs am 19. 3. in Graz und am 21. 3. in Wien vorgestellt.
Zusätzliche Materialien
Fotos 2010 - Romuald Karmakar
Bücher Romuald Karmakar