Suzuki Seijun
12. April bis 10. Mai 2012
Wenn man von japanischen B-Filmen spricht, meint man meist die Werke von Suzuki Seijun, dem exzentrischen Visionär des Weltgenrekinos. Suzuki ist dabei weniger die Regel als eine Ausnahme, genauer gesagt: Er ist die Zuspitzung aller Topoi, Regeln und Sujets dieses Kinos – sein Schaffen ist schiere Subversion und fröhlicher Exzess, ein Sturm, in dem Pop Art und klassische Bildkunst auf singuläre Weise ineinander verschmelzen. Somit ist Suzuki sowohl typisch für eine bestimmte Ära, für deren Produktionskultur und Ästhetik, wie auch eine absolute Abweichung – ein maître maudit, eternal maverick, Einzelgänger, Anarchist.
Suzuki war der erste japanische Genrefilmmacher, mit dem sich die internationale Kinokultur ab den 1970er Jahren intensiver beschäftigte. Gezeigt wurden wohl auch Arbeiten anderer Giganten des Yakuza-, Erotik- und Action-Kinos wie Katō Tai, Fukasaku Kinji, Kumashiro Tatsumi oder Ishii Teruo; doch es verwundert nicht, dass Suzukis Werke stets das meiste Aufsehen erregten. Wer wäre angesichts von Tokyo Drifter (1966), der für ihn zu einer Art Markenfilm wurde, nicht fassungslos vor Staunen: Gangster in farblich durchkodierter Kleidung laufen durch stilisierte Dekorationen bzw. reale Landschaften (die er aussehen lässt wie im Studio gebaut) und erschießen einander so lange, bis einer – irgendeiner – übrigbleibt. Ähnlich wie sonst nur Edgar G. Ulmer und Mario Bava verkörpert Suzuki Seijun alles, was sich mit der Utopie Genrekino verbindet: Flamboyance, die Lust am Experiment und am Regelbruch, ein spielerischer Umgang mit den minimalen Produktionsmitteln, und insgesamt: ein gewisses (selbst)ironisches Etwas.
Für Suzuki Seitarō – wie der 1923 in Tōkyō Geborene ursprünglich hieß – ist das Leben primär absurd. Zumindest war das die Kernerfahrung, die er als Soldat im Fünfzehnjährigen Krieg gemacht hatte. Ein Erlebnis aus jenen Jahren, das seine Weltsicht prägte, war die Versenkung eines Schiffs, auf dem er sich befand. Alle Menschen sind anders, doch in diesem Augenblick rannten sie geschlossen in dieselbe Richtung: weg vom Tod, in vielen Fällen vergeblich. Später verglich er diesen Anblick oft mit Bildern aus Slapstick-Komödien. Als verspätetes Geisteskind der Taishō-Ära (1912-26), der Hochzeit einer spezifisch japanischen Moderne, war das für ihn eigentlich nichts Überraschendes – zumindest war er mit den nihilistischen Antihelden der Filme Itō Daisukes und den Romanen Nakazato Kaisans aufgewachsen, beides frühe Einflüsse, auf die er wiederholt verwies.
Wie jeder japanische Regisseur seiner Generation, der etwas auf sich hält, behauptet auch Suzuki, rein zufällig beim Film gelandet zu sein, primär, weil er die Aufnahmeprüfung an der Tōkyō-Universität nicht bestanden hatte. So landete er 1946 als Regieassistent bei Shōchiku; 1954 wechselte er wie viele andere zum gerade wiedereröffneten Nikkatsu-Studio – sie wussten, dass sie hier rascher die Chance erhalten würden, Regie zu führen. 1956 gab Suzuki mit der Liebesgeschichte Harbour Toast sein entspannt-elegantes Debüt. Interessant ist, dass er oft wusste, für welche A-Werke er die B-Hälfte des damals üblichen Doppelprogramms machte; er versuchte dann, mit seinem „Underdog“-Film auf das jeweilige Prestigewerk zu reagieren – Kanto Wanderer z. B. entstand als Kompagnon zu Imamura Shōheis Insect Woman (1963).
Kanto Wanderer war nur eines von vier Hauptwerken, die er in seinem Durchbruchsjahr 1963 schuf. Nicht dass Suzukis Schaffen bis dahin vernachlässigbar wäre – schon vor diesem annus mirabilis entstanden diverse virtuose Übungen wie Voice Without A Shadow (1958) oder Love Letter (1959). Dennoch gilt die Periode von 1963 bis ’67 als seine Glanzzeit, die in drei kanonischen Werken gipfelte: in Fighting Elegy (1966, über die faschistische Jugend der 30er Jahre) und den Gangsterfilmen Tokyo Drifter und Branded to Kill (1967). Letzterer wurde zu einem cause célèbre: Die Nikkatsu-Bosse feuerten Suzuki, weil sie ihn „unverständlich“ fanden – er war ihnen zu viel geworden. Sie hassten alles, was heute seinen Ruhm ausmacht.
Erst nach zehn Jahren konnte Suzuki wieder für das Kino arbeiten – dank der unabhängigen Produktions- und Verleihfirma ATG. Im Rahmen dieses Spätwerks entstand u. a. die sogenannte Taishō-Trilogie Zigeunerweisen, Kagerō-za und Yumeji (1980-91) – Träumereien in Zelluloid, von einem freien Mann, der sich allein seinen ästhetischen Gelüsten hingeben kann; ein dekadent-formalistisches Kino, zu dessen Genie die Weltfilmkultur bis heute nicht aufgeschlossen hat.
Die erstmalige Suzuki-Retrospektive in Österreich ist ein gemeinsames Projekt des Filmmuseums, der Japan Foundation (Tōkyō), der Japanischen Botschaft (Wien) und Nikkatsu Film Corporation (Tōkyō). Die Schau wird in der Folge von anderen europäischen Cinémathèquen und Spielstätten übernommen. Als „Wiener Hommage“ an den Regisseur, der leider nicht mehr reisen kann, wird einer seiner Lieblingsfilme gezeigt: "Burgtheater" (1936) von Willi Forst.