Carnival of Souls
Horrorfilme 1918-1966
30. August bis 17. Oktober 2013
Mit „Carnival of Souls“ präsentiert das Filmmuseum die erste Hälfte einer großangelegten Retrospektive – über eine Gattung, die zu den (be)zwingendsten der Kinogeschichte gehört: Den Leinwandbildern wurde immer schon ein Nahverhältnis zu Träumen nachgesagt, im Kino des Grauens finden die Alpträume der Menschheit ihren direktesten filmischen Ausdruck. Blicklust und Angstlust prägen die Formen des Horrorfilms; aus den Urängsten des kollektiven Unbewussten entstehen seine Erzählungen – und wandeln sich mit der Zeit: Das Horrorkino ist sowohl ein Barometer gesellschaftlicher Umbrüche als auch die Königsdisziplin filmischer Machtausübung über das Publikum.
Dabei wurde der Begriff „Horror“ erst Anfang der 1930er salonfähig, als die Produktionen des Universal-Studios das erste Goldene Zeitalter des Genres einläuteten. Als dunkle Seite des Phantastischen lässt sich das, was heute Horror heißt, oft nur schwer von anderen Ausläufern (etwa der Science-Fiction) abgrenzen – analog zur Literatur, wo die Ahnenlinie mindestens bis ins 2. Jahrhundert, zu den magischen Transformationen und übernatürlichen Elementen der Apuleius-Satire „Der Goldene Esel“ zurückreicht. Die monströsen Wesen finden sich schon in mündlichen Traditionen, in der Folklore und den Märchen, und sie zogen weiter: in die Mysterienspiele des Mittelalters, die viktorianische Schauerromantik, die bahnbrechenden Erzählungen von Edgar Allan Poe. Eine direkte Linie der Beschäftigung mit dem Makabren, der Angst und dem Tod führt von dort ins frühe Kino, das sich bei den erfolgreichen Schicksalsdramen und Geister-Erzählungen des 19. Jahrhunderts bediente.
Doch erst nach Ende des Ersten Weltkriegs entstanden – vor allem in Deutschland und Skandinavien – jene retrospektiv dem Horror zugeschlagenen phantastischen Filme, die die Grundpfeiler für die filmische Architektur des Grauens setzten: Robert Wienes und Carl Mayers expressionistischer Nachtmahr Das Cabinet des Dr. Caligari versinnbildlichte eine aus den Fugen geratene Welt des Wahnsinns und dämonischer Macht, andere Regisseure unternahmen stilprägende Konfrontationen mit dem Tod (Victor Sjöströms Fuhrmann des Todes), dem Vampir (Murnaus Nosferatu), dem unheimlichen Doppelgänger (Der Student von Prag) und dem Teufel (Benjamin Christensens Häxan).
Nicht nur Christensen ging bald in die USA, wo indessen Lon Chaney als „Mann mit den tausend Masken“ in delirierenden Filmen wie Tod Brownings The Unknown zum ersten Superstar des Horrorgenres wurde – avant la lettre. Die Beschreibung setzte sich erst durch, als mit Beginn des Tonfilms klassische und ungebrochen populäre Monster in Zentralwerken wie James Whales Frankenstein oder King Kong ihre berühmtesten und oft auch besten Leinwandauftritte feierten.
Die Monsterfilme von Universal lösten einen Boom aus, daneben entführten Billigproduktionen in unwirkliche Grenzzonen: Die Atmosphäre von White Zombie (1932) kommt dem zeitgleichen Alptraumfilm Vampyr des dänischen Meisterregisseurs Carl Theodor Dreyer erstaunlich nahe, und Roy William Neills Black Moon (1934) nimmt die mysteriösen Stimmungen und Ellipsen von Jacques Tourneurs I Walked with a Zombie (1943) vorweg. Letzterer zählt zu einem Zyklus von Meisterwerken, mit denen der Produzent Val Lewton das Horrorgenre während des Zweiten Weltkriegs einer Generalüberholung unterzog, indem er die Kunst der Andeutung perfektionierte. Zugleich erscheinen Lewtons sublime Schauerstücke wie Klagelieder von der Homefront – über eine Welt des Zweifels (zu Hause) und des Tods (in Übersee).
Erst mit einem gewissen Respektabstand zu den realen Schrecken des Kriegs kam die Horrorproduktion in den 1950er Jahren wieder in die Gänge, als die neue Dimension des Farbfilms eine zweite Hochblüte im Kino des Grauen auslöste. Die britische Horrorschmiede Hammer reüssierte mit klassenbewussten Revisionen klassischer Stoffe wie Dracula (1958), in den USA begann Low-Budget-König Roger Corman mit House of Usher (1960) einen erfindungsreichen Zyklus freier Poe-Adaptionen. Gleichzeitig läuteten einige virtuose Genre-Stilisten in Italien und Japan – z. B. der ehemalige Kameramann Mario Bava oder Nakagawa Nobuo, Japans Ein-Mann-Armee des Horrorfilms – eine internationale Revolution im Genre ein. Nicht zuletzt dank Alfred Hitchcocks Welterfolg Psycho war das Horrorkino endgültig im Mainstream gelandet und trieb dort seltsame Blüten, während es sich an den Rändern, etwa beim „Godfather of Gore“ Herschell Gordon Lewis (Two Thousand Maniacs!), wieder umso extremer wegbewegte: Von den Folgen wird der zweite Teil der Retrospektive im Herbst 2014 erzählen.
„Carnival of Souls“ offeriert ikonische Auftritte der großen Darsteller des Genres von Boris Karloff bis Vincent Price, würdigt die prägenden Zyklen von Lewton und Corman und setzt neben den zentralen Künstlern des Horrorfilms (von Tod Browning bis Terence Fisher) auch vernachlässigte Regisseure wie Roy William Neill und Mark Robson ins Recht. Abseits der kanonischen Werke vor allem aus dem angloamerikanischen Raum betont die Schau auch die internationale Dimension des Genres – und andere Traditionslinien: Die Stummfilme des Phantastischen Kinos hatten Erben wie Frank Wysbars Legendenfilm Fährmann Maria im Deutschen Reich, La Main du diable von Maurice Tourneur (Jacques Tourneurs Vater) im besetzten Frankreich und Edgar Nevilles La torre de los siete jorobados in der Franco-Diktatur. Pionierwerke wie die mexikanische Geistergeschichte El fantasma del convento (1934) oder die großartige chinesische Version des „Phantoms der Oper“, Yèbàn gēshēng (Lied um Mitternacht, 1937), betreten Pfade mit anderen Bezugspunkten zum Phantastischen, etwa im spanischsprachigen Raum oder in Asien.
Über die vielfältige Anverwandlung der Motive kommunizieren dennoch alle Erzählungen des Genres miteinander – und formen ein globales Porträt des Zeitenwandels und seiner Ängste: Das Somnambulisten-Geschöpf aus Dr. Caligari wandelt sich in der Depressionszeit zu den Voodookult-Sklaven von White Zombie und kehrt 1966 aus Übersee wieder, um in John Gillings The Plague of the Zombies, dem marxistischen Meisterstück der Hammer-Produktion, jene Radikalisierung vorwegzunehmen, mit der George A. Romeros Living Dead 1968 in die von Vietnamkrieg und Bürgerrechtsbewegung aufgerüttelten USA einmarschieren werden.
Die Schau, kuratiert von Christoph Huber, präsentiert 51 Werke aus den Jahren 1918–66. Acht „Double Feature“-Programme erinnern an diese publikumsfreundliche (und gerade für Horrorfilme häufig genützte) Kinotradition. Die Stummfilme werden teilweise durch Original-Scores und z. T. von Gerhard Gruber live am Klavier begleitet. Einführungen von Hans Langsteiner, Judith Fischer, Oliver Hanley und Christoph Huber ergänzen das Programm.
Zusätzliche Materialien