Joseph Cornell
11. und 12. November 2015
Utopia Parkway: An dieser so poetisch klingenden Wohnadresse in Queens sind die künstlerischen Arbeiten von Joseph Cornell (1903–1972) entstanden. Obwohl er zeitlebens New York kaum verlassen hat, ist sein Werk maßgeblich geprägt von einem – durchaus kundigen – Interesse für den alten Kontinent, die Astronomie oder vergangene Epochen. Cornell war fasziniert von der Ferne; statt zu reisen erschuf er sich jedoch seinen eigenen Kosmos: „This is a man who would look at the stars and dream about the mechanics of the universe.“ (Walter Hopps)
Cornell ist vor allem für seine sogenannten boxes bekannt, in denen er verschiedenes Bild- und Objektmaterial arrangierte. Die Nähe zu Marcel Duchamp und dessen boîtes-en-valise ist dabei nicht nur konzeptueller Natur, sondern auch eine persönliche. Als Autodidakt beginnt Cornell in den 1930er Jahren, eigene Arbeiten anzufertigen: Beeinflusst vom Surrealismus, aber auch aufgrund seiner leidenschaftlichen Sammlertätigkeit entstehen frühe Collagen; bald erweitert sich das Spektrum hin zu objekthaften und filmischen Auseinandersetzungen.
Cornells Beziehung zum Film war sehr wechselhaft: Die erste Vorführung (1936) eines seiner Filme endete aufgrund der aufgebrachten Reaktion von Salvador Dalí geradezu traumatisch, sodass Cornell in Folge nur selten und eher ungern seine Filme öffentlich zeigte. Rose Hobart, sein erster und wohl bekanntester Film, ist der gleichnamigen Schauspielerin gewidmet. So wie Cornell später auch Stars wie Lauren Bacall oder Hedy Lamarr in seine Bildwelt aufnahm, fokussiert dieser frühe Found-Footage-Film vornehmlich auf jene Szenen des B-Movies East of Borneo, in denen Rose Hobart zu sehen ist. Das Resultat ist ein atmosphärisch verdichtetes Porträt, das mittels einfacher, effektiver Manipulationen den ursprünglichen Kontext stark verschiebt und ironische Momente in sich birgt.
Cornells filmisches Werk lässt sich nur schwer zuordnen, und auch seine Datierung ist nicht immer einfach. Die frühen Collage-Filme aus den 1930er Jahren wurden zum Teil erst viel später mithilfe von Lawrence Jordan fertiggestellt, der eine Zeit lang Cornells Assistent war. In den 1950er Jahren wiederum übernahmen Stan Brakhage und Rudy Burckhardt in Cornells Auftrag die Kamera – das Material, das bei diesen Streifzügen durch New York entstand, fand Eingang sowohl in deren eigene Arbeiten als auch in Cornells Filme.
Revidieren, Rekombinieren, Delegieren: Diese Praktiken finden sich in seinem gesamten Œuvre wieder. Bestimmte Themen, Motive oder Filmfragmente tauchen in unterschiedlicher Weise mehrfach auf, am deutlichsten in der Children’s Trilogy, einer Serie dunkler, durchaus beunruhigender „Märchen“. Auch der jüngste Fund im Nachlass – Untitled (The Wool Collage) – ermöglicht die Wiederbegegnung mit einzelnen Sequenzen aus anderen Werken.
Annette Michelson weist auf die Parallelität der historischen Entwicklung des Films und der Biografie des Künstlers hin: vom Attraktionskino zum narrativen Film zum Tonfilm; diese Genealogie kristallisiert sich in Cornells Filmen, die oft – bewusst – anachronistisch anmuten und derart ihren enigmatischen Zauber entfalten.
Eine Kooperation von Filmmuseum und Kunsthistorischem Museum Wien. Die Ausstellung Joseph Cornell: Fernweh im KHM, bei der erstmals in Österreich Cornells bildnerisches Werk gezeigt wird, findet von 20.10.2015 bis 10.1.2016 statt. Die in der Cornell-Sammlung des Filmmuseums bewahrten Filme werden ergänzt durch zahlreiche Leihgaben aus dem Museum of Modern Art und den Anthology Film Archives in New York.