Jan Troell & Bo Widerberg
9. September bis 20. Oktober 2021
Drei Jahre nach der kompletten Werkschau zu Ingmar Bergman widmet sich das Österreichische Filmmuseum mit einer Doppelretrospektive der nächsten Generation schwedischer Meisterregisseure. Bo Widerberg (1930–97) und Jan Troell (*1931) stehen für den Aufbruch Schwedens in die Kinomoderne. Der jung etablierte Autor Widerberg hatte 1962 mit aufsehenerregender Kritik an Ingmar Bergman und dessen Generation eine Abkehr vom Alten und die Hinwendung zu realitätsnahen und zeitgenössischen Stoffen parallel zur französischen Nouvelle Vague gefordert. Als Regisseur gelang ihm mit preisgekrönten Filmen wie Barnvagnen (Kinderwagen, 1963) die sofortige Umsetzung seiner Thesen, wobei er anfangs mit dem vormaligen Volksschullehrer und autodidaktischen Kameravirtuosen Troell zusammen arbeitete, der sich schnell selbst als Filmemacher etablierte. Binnen weniger Jahre reüssierten sie unabhängig voneinander auf internationalen Festivals und schufen von Kritik und Publikum akklamierte Klassiker.
Welterfolgen wie Widerbergs lyrischer Liebesgeschichte Elvira Madigan (1967) oder Troells zweiteiliger Auswanderer-Saga Utvandrarna (Emigranten, 1971) und Nybyggarna (Das neue Land, 1972) folgten Einladungen nach Übersee. Widerbergs Arbeitskampf-Ballade Joe Hill (1971) und Troells intimer Western Zandy's Bride (1974, mit Gene Hackman) sind längst als Ausnahmefilme von "New Hollywood" wiederzuentdecken, doch beide Regisseure kehrten letztlich unbefriedigt nach Schweden zurück. Sie realisierten ihre sehr persönlichen Vorstellungen eines populären wie engagierten Kinos durch vielschichtige Chroniken ihrer Heimat, die bei allen spezifischen natio nalen Qualitäten doch universale Wirkung entfalten.
Trotz ihrer sehr unterschiedlichen Handschriften eint beide eine Vorliebe für ungewöhnliche Literaturverfilmungen und eine Haltung: kritischer Humanismus. Dadurch werden ihre Gestaltungen von packenden Menschenschicksalen und so reichhaltigen wie ambivalenten Gesellschaftsbildern zur großen Auseinandersetzung mit den Entwicklungen der Moderne: Schweden als sozialdemokratischer Wohlfahrtsstaat, der sich den Auswirkungen des weltweiten Siegeszuges des Kapitalismus dennoch nicht entziehen konnte, erwies sich als idealer Brennpunkt für die Beschäftigung mit den widerstreitenden Kräften, die das 20. Jahrhundert prägten.
Widerberg verblüffte dabei auch durch seine Vielseitigkeit: In der Dramatisierung eines Wendepunkts der schwedischen Geschichte (Ådalen 31, 1969) fand er ebenso Stoff für seine Studien menschlicher und sozialer Abhängigkeiten wie in der entwaffnenden Fußball-Kinderkomödie Fimpen (1974). In seine Adaptionen von klassischer (Knut Hamsun: Victoria, 1979) oder neuerer (Torgny Lindgren: Ormens väg på hälleberget / Der Weg der Schlange auf dem Felsen, 1986) Weltliteratur fügt sich nahtlos die kongeniale Umsetzung eines skandinavischen Krimi-Meisterwerks von Sjöwall/Wahlöö, mit dem Action-Furioso Mannen på taket (Der Mann auf dem Dach, 1976), das zugleich als eine der härtesten Bilanzen des sozialdemokratischen Scheiterns gelten muss.
Wo Widerberg stilistisch immer wieder neue Herausforderungen suchte, etablierte Troell – meist in Personalunion als Regisseur, (Ko-)Autor, Kameramann und Schnittmeister – früh eine Form, bei der sich mit "fotografischem" Auge präzis eingefangene Details zum großen Mosaik fügten: Schon sein Langfilmdebüt Här har du ditt liv (Hier hast du dein Leben, 1966) – wie Widerbergs Kvarteret Korpen (Das Rabenviertel, 1963) stets ganz vorne dabei bei Umfragen nach dem besten schwedischen Film – formt die autobiografische Tetralogie des späteren Literaturnobelpreisträgers Eyvind Johnson zu einem dreistündigen filmischen Entwicklungsroman, der zugleich wie eine Serie wunderbarer Kurzfilme wirkt. Ähnliche Meisterleistungen gelangen ihm nicht nur mit seinem großen Auswanderer-Diptychon, sondern auch mit seinen Studien einer gescheiterten Polarexpedition in Ingenjör Andrées luftfärd (Der Flug des Adlers, 1982), den von seiner Bewunderung für die Nazis überschatteten späten Jahren des Literaturnobelpreisträgers Hamsun (1996) oder der Biografie einer Arbeiterfrau, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts als Fotografin durchsetzt (Maria Larsson eviga ögonblick / Die ewigen Momente der Maria Larsson, 2008).
Gleichzeitig war Troell aber auch mühelos dazu imstande, seine komplexe Weltsicht durch dokumentarische Formen auszudrücken, beispielhaft in seinem wohl persönlichsten Werk Sagolandet (Das Märchenland, 1988), oder sie in "kleinen" Geschichten zu verdichten. Einen Film wie Ole dole doff (Raus bist du, 1968), der die Konflikte seiner Zeit in der Erzählung von einem überforderten Pädagogen spiegelt, konnte in dieser Authentizität wohl nur ein Ex-Lehrer machen, gleichzeitig verrät das Fehlen jeglicher Didaktik den neugierigen Blick eines besonderen Künstlers – auch darin treffen sich Widerberg und Troell: Bei aller Ambivalenz vermitteln sie stets mit Leidenschaft und Klarheit die Intensität des Lebens. (Christoph Huber)
Alle Kopien dieser Retrospektive (außer Zandy's Bride) stammen aus der Sammlung des SFI (Swedish Film Institute).
Jon Wengström vom Swedish Film Institute wird von 9. bis 11. September zu Gast sein.
Der geplante Besuch von Jan Troell musste leider abgesagt werden.
Drei Jahre nach der kompletten Werkschau zu Ingmar Bergman widmet sich das Österreichische Filmmuseum mit einer Doppelretrospektive der nächsten Generation schwedischer Meisterregisseure. Bo Widerberg (1930–97) und Jan Troell (*1931) stehen für den Aufbruch Schwedens in die Kinomoderne. Der jung etablierte Autor Widerberg hatte 1962 mit aufsehenerregender Kritik an Ingmar Bergman und dessen Generation eine Abkehr vom Alten und die Hinwendung zu realitätsnahen und zeitgenössischen Stoffen parallel zur französischen Nouvelle Vague gefordert. Als Regisseur gelang ihm mit preisgekrönten Filmen wie Barnvagnen (Kinderwagen, 1963) die sofortige Umsetzung seiner Thesen, wobei er anfangs mit dem vormaligen Volksschullehrer und autodidaktischen Kameravirtuosen Troell zusammen arbeitete, der sich schnell selbst als Filmemacher etablierte. Binnen weniger Jahre reüssierten sie unabhängig voneinander auf internationalen Festivals und schufen von Kritik und Publikum akklamierte Klassiker.
Welterfolgen wie Widerbergs lyrischer Liebesgeschichte Elvira Madigan (1967) oder Troells zweiteiliger Auswanderer-Saga Utvandrarna (Emigranten, 1971) und Nybyggarna (Das neue Land, 1972) folgten Einladungen nach Übersee. Widerbergs Arbeitskampf-Ballade Joe Hill (1971) und Troells intimer Western Zandy's Bride (1974, mit Gene Hackman) sind längst als Ausnahmefilme von "New Hollywood" wiederzuentdecken, doch beide Regisseure kehrten letztlich unbefriedigt nach Schweden zurück. Sie realisierten ihre sehr persönlichen Vorstellungen eines populären wie engagierten Kinos durch vielschichtige Chroniken ihrer Heimat, die bei allen spezifischen natio nalen Qualitäten doch universale Wirkung entfalten.
Trotz ihrer sehr unterschiedlichen Handschriften eint beide eine Vorliebe für ungewöhnliche Literaturverfilmungen und eine Haltung: kritischer Humanismus. Dadurch werden ihre Gestaltungen von packenden Menschenschicksalen und so reichhaltigen wie ambivalenten Gesellschaftsbildern zur großen Auseinandersetzung mit den Entwicklungen der Moderne: Schweden als sozialdemokratischer Wohlfahrtsstaat, der sich den Auswirkungen des weltweiten Siegeszuges des Kapitalismus dennoch nicht entziehen konnte, erwies sich als idealer Brennpunkt für die Beschäftigung mit den widerstreitenden Kräften, die das 20. Jahrhundert prägten.
Widerberg verblüffte dabei auch durch seine Vielseitigkeit: In der Dramatisierung eines Wendepunkts der schwedischen Geschichte (Ådalen 31, 1969) fand er ebenso Stoff für seine Studien menschlicher und sozialer Abhängigkeiten wie in der entwaffnenden Fußball-Kinderkomödie Fimpen (1974). In seine Adaptionen von klassischer (Knut Hamsun: Victoria, 1979) oder neuerer (Torgny Lindgren: Ormens väg på hälleberget / Der Weg der Schlange auf dem Felsen, 1986) Weltliteratur fügt sich nahtlos die kongeniale Umsetzung eines skandinavischen Krimi-Meisterwerks von Sjöwall/Wahlöö, mit dem Action-Furioso Mannen på taket (Der Mann auf dem Dach, 1976), das zugleich als eine der härtesten Bilanzen des sozialdemokratischen Scheiterns gelten muss.
Wo Widerberg stilistisch immer wieder neue Herausforderungen suchte, etablierte Troell – meist in Personalunion als Regisseur, (Ko-)Autor, Kameramann und Schnittmeister – früh eine Form, bei der sich mit "fotografischem" Auge präzis eingefangene Details zum großen Mosaik fügten: Schon sein Langfilmdebüt Här har du ditt liv (Hier hast du dein Leben, 1966) – wie Widerbergs Kvarteret Korpen (Das Rabenviertel, 1963) stets ganz vorne dabei bei Umfragen nach dem besten schwedischen Film – formt die autobiografische Tetralogie des späteren Literaturnobelpreisträgers Eyvind Johnson zu einem dreistündigen filmischen Entwicklungsroman, der zugleich wie eine Serie wunderbarer Kurzfilme wirkt. Ähnliche Meisterleistungen gelangen ihm nicht nur mit seinem großen Auswanderer-Diptychon, sondern auch mit seinen Studien einer gescheiterten Polarexpedition in Ingenjör Andrées luftfärd (Der Flug des Adlers, 1982), den von seiner Bewunderung für die Nazis überschatteten späten Jahren des Literaturnobelpreisträgers Hamsun (1996) oder der Biografie einer Arbeiterfrau, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts als Fotografin durchsetzt (Maria Larsson eviga ögonblick / Die ewigen Momente der Maria Larsson, 2008).
Gleichzeitig war Troell aber auch mühelos dazu imstande, seine komplexe Weltsicht durch dokumentarische Formen auszudrücken, beispielhaft in seinem wohl persönlichsten Werk Sagolandet (Das Märchenland, 1988), oder sie in "kleinen" Geschichten zu verdichten. Einen Film wie Ole dole doff (Raus bist du, 1968), der die Konflikte seiner Zeit in der Erzählung von einem überforderten Pädagogen spiegelt, konnte in dieser Authentizität wohl nur ein Ex-Lehrer machen, gleichzeitig verrät das Fehlen jeglicher Didaktik den neugierigen Blick eines besonderen Künstlers – auch darin treffen sich Widerberg und Troell: Bei aller Ambivalenz vermitteln sie stets mit Leidenschaft und Klarheit die Intensität des Lebens. (Christoph Huber)
Alle Kopien dieser Retrospektive (außer Zandy's Bride) stammen aus der Sammlung des SFI (Swedish Film Institute).
Jon Wengström vom Swedish Film Institute wird von 9. bis 11. September zu Gast sein.
Der geplante Besuch von Jan Troell musste leider abgesagt werden.
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