Collection on Screen:
Western. Der amerikanische Mythos
15. Mai bis 30. Juni 2022
Der französische Filmkritiker André Bazin beschrieb den Western als "den amerikanischen Film par excellence": Kaum ein anderes Kinogenre des 20. Jahrhunderts wurde so ikonisch für die Traumfabrik Hollywood, aber auch für das Selbstbild der USA. Die Erzählungen und vor allem die Filme über die Eroberung des "Wilden Westens" durch die Siedler*innen lieferten den zentralen Mythos der Vereinigten Staaten: die Geburt der Gunfighter Nation in den Dekaden 1860–1890 als eine Art Übersee-Äquivalent zum homerischen Heldenlied. Im Western als Nationalepos bündelten sich die Widersprüche und Träume der USA als Land der Demokratie und der Gewalt, fand sich eine mythische Balance für so unvereinbare Elemente wie den (meist verleugneten) Genozid an den Ureinwohnern, das Hohelied der gemeinschaftlich erbauten Zivilisation und die Legende vom unbändigen Freiheitsdrang.
Dabei entwickelte sich um dieses populäre Genre eine Filmsprache, die weltweit – und weit über die Grenzen des Western hinaus – die Entwicklung des Kinos mitbestimmte. In unserer Sammlung ist kein anderes Genre so stark vertreten, und so liefert das bislang umfangreichste Modul der Reihe Collection on Screen einen Querschnitt der Entwicklung des Western im 20. Jahrhundert. Vom stummen Pionier-Epos The Covered Wagon (1923) über die reiche Hochblüte nach dem Zweiten Weltkrieg und die anschließenden Revisionen von New Hollywood hin bis zu Ang Lees Südstaaten-Guerilla-Saga Ride With the Devil (1999).
Sichtbar wird dabei sowohl im kleinen Detail wie im großen Bogen der Reifeprozess des Genres, begleitet vom Wandel des Geschichtsbilds und der nationalen Selbstwahrnehmung: etwa die Transformation der Wyatt-Earp-Legende vom verblüffenden Frühwerk Law and Order (1932) zu John Fords Klassiker My Darling Clementine (1946) oder die Auseinandersetzung mit der "Indianerfrage" von The Last Frontier (1955) über Little Big Man (1970) zu Geronimo: An American Legend (1993). Der Konstitution des Western-Mythos in den Filmen von Ford oder Howard Hawks (Red River, 1948) folgt die Vertiefung ins Psychologische mit Meisterstücken wie The Gunfighter (1950) oder High Noon (1952), oft auch in Einklang mit charakteristischen Landschaften, etwa bei Ausnahmeregisseuren wie Anthony Mann und Budd Boetticher. Letzterer steht auch für den erstaunlichen Einfallsreichtum im B-Western – ebenso die Entdeckungen Lust for Gold (1949) oder Hangman's Knot (1952).
Parallel zum Vietnamkrieg und anderen desillusionierenden Erfahrungen verdüsterte sich die Mythologie, das ursprüngliche Heldenbild zersplitterte in Neurosen (Marlon Brandos One-Eyed Jacks, 1961), "gegenkulturelle" Endspiele (so in den Genre-Großtaten Monte Hellmans wie The Shooting) oder ökologische Bedenken wie bei Clint Eastwoods Pale Rider (1986), dessen visuelle Verfinsterung emblematisch für den Spätwestern ist: War der Western einst Nährboden von Utopien, so sind später die Geister der Vergangenheit nicht mehr abzuschütteln. (Christoph Huber)
Der französische Filmkritiker André Bazin beschrieb den Western als "den amerikanischen Film par excellence": Kaum ein anderes Kinogenre des 20. Jahrhunderts wurde so ikonisch für die Traumfabrik Hollywood, aber auch für das Selbstbild der USA. Die Erzählungen und vor allem die Filme über die Eroberung des "Wilden Westens" durch die Siedler*innen lieferten den zentralen Mythos der Vereinigten Staaten: die Geburt der Gunfighter Nation in den Dekaden 1860–1890 als eine Art Übersee-Äquivalent zum homerischen Heldenlied. Im Western als Nationalepos bündelten sich die Widersprüche und Träume der USA als Land der Demokratie und der Gewalt, fand sich eine mythische Balance für so unvereinbare Elemente wie den (meist verleugneten) Genozid an den Ureinwohnern, das Hohelied der gemeinschaftlich erbauten Zivilisation und die Legende vom unbändigen Freiheitsdrang.
Dabei entwickelte sich um dieses populäre Genre eine Filmsprache, die weltweit – und weit über die Grenzen des Western hinaus – die Entwicklung des Kinos mitbestimmte. In unserer Sammlung ist kein anderes Genre so stark vertreten, und so liefert das bislang umfangreichste Modul der Reihe Collection on Screen einen Querschnitt der Entwicklung des Western im 20. Jahrhundert. Vom stummen Pionier-Epos The Covered Wagon (1923) über die reiche Hochblüte nach dem Zweiten Weltkrieg und die anschließenden Revisionen von New Hollywood hin bis zu Ang Lees Südstaaten-Guerilla-Saga Ride With the Devil (1999).
Sichtbar wird dabei sowohl im kleinen Detail wie im großen Bogen der Reifeprozess des Genres, begleitet vom Wandel des Geschichtsbilds und der nationalen Selbstwahrnehmung: etwa die Transformation der Wyatt-Earp-Legende vom verblüffenden Frühwerk Law and Order (1932) zu John Fords Klassiker My Darling Clementine (1946) oder die Auseinandersetzung mit der "Indianerfrage" von The Last Frontier (1955) über Little Big Man (1970) zu Geronimo: An American Legend (1993). Der Konstitution des Western-Mythos in den Filmen von Ford oder Howard Hawks (Red River, 1948) folgt die Vertiefung ins Psychologische mit Meisterstücken wie The Gunfighter (1950) oder High Noon (1952), oft auch in Einklang mit charakteristischen Landschaften, etwa bei Ausnahmeregisseuren wie Anthony Mann und Budd Boetticher. Letzterer steht auch für den erstaunlichen Einfallsreichtum im B-Western – ebenso die Entdeckungen Lust for Gold (1949) oder Hangman's Knot (1952).
Parallel zum Vietnamkrieg und anderen desillusionierenden Erfahrungen verdüsterte sich die Mythologie, das ursprüngliche Heldenbild zersplitterte in Neurosen (Marlon Brandos One-Eyed Jacks, 1961), "gegenkulturelle" Endspiele (so in den Genre-Großtaten Monte Hellmans wie The Shooting) oder ökologische Bedenken wie bei Clint Eastwoods Pale Rider (1986), dessen visuelle Verfinsterung emblematisch für den Spätwestern ist: War der Western einst Nährboden von Utopien, so sind später die Geister der Vergangenheit nicht mehr abzuschütteln. (Christoph Huber)