Films You Cannot See Elsewhere
Amos-Vogel-Atlas Kapitel 14:
Sex. Filme. 1950–2000
6. September bis 18. Oktober 2023
Unter den Tabuthemen, die in Amos Vogels bahnbrechendem Buch Film as a Subversive Art (1974) verhandelt werden, spielt die Sexualität naturgemäß eine Schlüsselrolle. Dabei zog Vogel vorausschauend ernüchternde Bilanz: "Die sexuelle Revolution hat die Beziehung zwischen den Geschlechtern kaum verändert und wird sogar gelegentlich als männlich-orientiert angegriffen. Die harte Pornografie hat neue Millionäre geschaffen", schrieb er, "aber die unserer Zivilisation eigene Unterdrückung des Sexuellen ist geblieben." Das bislang umfangreichste Kapitel im Vogel-Atlas stellt ein halbes Jahrhundert später die Frage, inwieweit Vogel recht behalten hat und zeichnet anhand ausgewählter Beispiele die Geschichte der Liberalisierung von Sexualität im Kino nach.
Dabei geht es ganz in Vogels Sinne um die öffentliche Auseinandersetzung mit Sex im Film: seine Wirkung als Kinostoff und nicht die Produktion für Privatkonsum. Ausgangspunkt sind folgerichtig berühmte Zensurfälle wie Jean Genets Un chant d'amour (1950) oder Jack Smiths Flaming Creatures (1963). Die expliziten Darstellungen auf der Leinwand sorgten für Verbote, Verhaftungen und juristische Auseinandersetzungen, vor allem die Avantgarde übernahm die Vorreiterrolle bei der Verschränkung von freizügigem Sex und Kunst: Via Carolee Schneemann und Andy Warhol zu Kurt Kren und Maria Lassnig verläuft eine Linie dieser Filmschau nahe an Vogels eigenen Überlegungen zur sogenannten "sexuellen Befreiung". Aber auch im kommerziellen Bereich enstanden – nicht immer beabsichtigt – ungeahnte Freiräume, beispielhaft und ganz gegensätzlich zu sehen in einem Filmdoppel von 1971: das eigensinnige Exploitation-Kino von Jess Francos Vampyros Lesbos versus Die Spalte, Gustav Ehmcks radikalem Aufbruch aus den Sex-Sozialreport-Klischees des deutschen Kinos.
Die rasche Ankunft der Pornografie im Mainstream als "radical chic", der sofort in die kapitalistische Konsumkultur eingemeindet wurde, führte im Lauf der 1970er zu ganz unterschiedlichen Bewegungen: Die Politisierung des sexuellen Tabubruchs als Provokation beschäftigte nicht nur Vogel, sondern in Form von "Skandalfilmen" die Mediengesellschaft an sich. Pier Paolo Pasolinis Salò (1975) und Ōshima Nagisas Ai no corrida (Im Reich der Sinne, 1976) firmierten zentral in Obszönitätsdebatten rund um den "Autorenfilm", dessen Vollendung für Vogel in der "tiefen moralischen Verpflichtung" von Thierry Zenos Mensch-Tier-Liebesfilm Vase de noces (Bauer sucht Sau, 1974) zu finden war. Komplementär dazu stellt sich nochmal die Frage nach dem Auteurismus in der pornografischen Produktion, was erst rückwirkend verhandelt wurde: Sowohl im Hetero-Hardcore (Gerard Damiano, Radley Metzger) wie im Schwulenporno (Peter de Rome, Jack Deveau) entstanden außergewöhnliche Kunstwerke.
Trotz ihrer Legalisierung blieben nicht-jugendfreie Filme umstritten, auch wenn Studien zeigten, dass sie weniger Gewalt und Sexismus enthielten als freigegebene Produktionen. Indessen gab es rund um die Zweite Welle des Feminismus eine progressive Entwicklung, nicht zuletzt in Werken, die ein neues Verhältnis zur Sexarbeit zu definieren suchten wie Lady Shiva (1974) von Tula Roy oder Working Girls (1986) von Lizzie Borden, während Verführung – Die grausame Frau (1985) von Monika Treut und Elfi Mikesch den emanzipatorischen Zugang mit der BDSM-Welt konfrontierte. Dieser Vogel-Atlas präsentiert darüber hinaus diverse Positionen und Zugänge von Avantgarde und Animationsfilm – wie das Entgrenzungs-Meisterwerk Asparagus (1979) von Suzan Pitt – bis in den Dokumentarbereich.
Bewusst ist die Auswahl so gesetzt, dass zunehmend weibliche Positionen in den Vordergrund rücken. So bildet den Abschluss ein Blick auf die Ende des 20. Jahrhunderts entstandene Welle von Kunstfilmen mit Hardcore-Elementen, repräsentiert durch Catherine Breillats Romance (1999) und Baise-moi (2000) von Virginie Despentes und Coralie Trinh Thi, dem wohl letzten echten Kinoskandal inmitten Europas Subventionskultur. (Christoph Huber)
Der gebürtige Wiener Jude Amos Vogel (1921–2012) wurde nach der Emigration in die USA eine der wichtigsten Figuren der internationalen Filmkultur. Die Reihe Amos-Vogel-Atlas widmet sich der Weiterführung seines widerständigen Erbes parallel zur Beforschung seines Nachlasses im Filmmuseum mit Schwerpunkt auf Raritäten aus der Sammlung.
Unter den Tabuthemen, die in Amos Vogels bahnbrechendem Buch Film as a Subversive Art (1974) verhandelt werden, spielt die Sexualität naturgemäß eine Schlüsselrolle. Dabei zog Vogel vorausschauend ernüchternde Bilanz: "Die sexuelle Revolution hat die Beziehung zwischen den Geschlechtern kaum verändert und wird sogar gelegentlich als männlich-orientiert angegriffen. Die harte Pornografie hat neue Millionäre geschaffen", schrieb er, "aber die unserer Zivilisation eigene Unterdrückung des Sexuellen ist geblieben." Das bislang umfangreichste Kapitel im Vogel-Atlas stellt ein halbes Jahrhundert später die Frage, inwieweit Vogel recht behalten hat und zeichnet anhand ausgewählter Beispiele die Geschichte der Liberalisierung von Sexualität im Kino nach.
Dabei geht es ganz in Vogels Sinne um die öffentliche Auseinandersetzung mit Sex im Film: seine Wirkung als Kinostoff und nicht die Produktion für Privatkonsum. Ausgangspunkt sind folgerichtig berühmte Zensurfälle wie Jean Genets Un chant d'amour (1950) oder Jack Smiths Flaming Creatures (1963). Die expliziten Darstellungen auf der Leinwand sorgten für Verbote, Verhaftungen und juristische Auseinandersetzungen, vor allem die Avantgarde übernahm die Vorreiterrolle bei der Verschränkung von freizügigem Sex und Kunst: Via Carolee Schneemann und Andy Warhol zu Kurt Kren und Maria Lassnig verläuft eine Linie dieser Filmschau nahe an Vogels eigenen Überlegungen zur sogenannten "sexuellen Befreiung". Aber auch im kommerziellen Bereich enstanden – nicht immer beabsichtigt – ungeahnte Freiräume, beispielhaft und ganz gegensätzlich zu sehen in einem Filmdoppel von 1971: das eigensinnige Exploitation-Kino von Jess Francos Vampyros Lesbos versus Die Spalte, Gustav Ehmcks radikalem Aufbruch aus den Sex-Sozialreport-Klischees des deutschen Kinos.
Die rasche Ankunft der Pornografie im Mainstream als "radical chic", der sofort in die kapitalistische Konsumkultur eingemeindet wurde, führte im Lauf der 1970er zu ganz unterschiedlichen Bewegungen: Die Politisierung des sexuellen Tabubruchs als Provokation beschäftigte nicht nur Vogel, sondern in Form von "Skandalfilmen" die Mediengesellschaft an sich. Pier Paolo Pasolinis Salò (1975) und Ōshima Nagisas Ai no corrida (Im Reich der Sinne, 1976) firmierten zentral in Obszönitätsdebatten rund um den "Autorenfilm", dessen Vollendung für Vogel in der "tiefen moralischen Verpflichtung" von Thierry Zenos Mensch-Tier-Liebesfilm Vase de noces (Bauer sucht Sau, 1974) zu finden war. Komplementär dazu stellt sich nochmal die Frage nach dem Auteurismus in der pornografischen Produktion, was erst rückwirkend verhandelt wurde: Sowohl im Hetero-Hardcore (Gerard Damiano, Radley Metzger) wie im Schwulenporno (Peter de Rome, Jack Deveau) entstanden außergewöhnliche Kunstwerke.
Trotz ihrer Legalisierung blieben nicht-jugendfreie Filme umstritten, auch wenn Studien zeigten, dass sie weniger Gewalt und Sexismus enthielten als freigegebene Produktionen. Indessen gab es rund um die Zweite Welle des Feminismus eine progressive Entwicklung, nicht zuletzt in Werken, die ein neues Verhältnis zur Sexarbeit zu definieren suchten wie Lady Shiva (1974) von Tula Roy oder Working Girls (1986) von Lizzie Borden, während Verführung – Die grausame Frau (1985) von Monika Treut und Elfi Mikesch den emanzipatorischen Zugang mit der BDSM-Welt konfrontierte. Dieser Vogel-Atlas präsentiert darüber hinaus diverse Positionen und Zugänge von Avantgarde und Animationsfilm – wie das Entgrenzungs-Meisterwerk Asparagus (1979) von Suzan Pitt – bis in den Dokumentarbereich.
Bewusst ist die Auswahl so gesetzt, dass zunehmend weibliche Positionen in den Vordergrund rücken. So bildet den Abschluss ein Blick auf die Ende des 20. Jahrhunderts entstandene Welle von Kunstfilmen mit Hardcore-Elementen, repräsentiert durch Catherine Breillats Romance (1999) und Baise-moi (2000) von Virginie Despentes und Coralie Trinh Thi, dem wohl letzten echten Kinoskandal inmitten Europas Subventionskultur. (Christoph Huber)
Der gebürtige Wiener Jude Amos Vogel (1921–2012) wurde nach der Emigration in die USA eine der wichtigsten Figuren der internationalen Filmkultur. Die Reihe Amos-Vogel-Atlas widmet sich der Weiterführung seines widerständigen Erbes parallel zur Beforschung seines Nachlasses im Filmmuseum mit Schwerpunkt auf Raritäten aus der Sammlung.
Zusätzliche Materialien
Bücher Film as a Subversive Art
Link Amos Vogel Library
Projekt Amos Vogel – 100 Jahre Subversion
Regelmäßiges Programm Amos-Vogel-Atlas
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