Die Rückseite des Films

Wien, 1931: Als Charlie Chaplin erstmals in eine Filmkamera sprach


Vor den Fernsehnachrichten waren es die Filmwochenschauen, die dem Publikum über die aktuellen Weltereignisse in "lebenden Bildern" berichteten. Als Aktualitäten konzipiert, waren die einzelnen Ausgaben nur von kurzer Lebensdauer und wurden erst Jahrzehnte später als erhaltenswerte Zeitdokumente wahrgenommen.
 

Ein Pionier der Filmwochenschau in Österreich war Gustav Mayer (1875–1936), Patriarch einer bis heute aktiven Filmdynastie. Ab 1908 war er für die französische Firma Pathé Frères in Wien tätig, später gründete er "Mayers Filmaktualitätenbüro", um eigene Dokumentar- und Wochenschaufilme zu produzieren. Seine Söhne Rudolf (1903–1962) und Adolf (1908–1960) arbeiteten oft als Kameramänner für ihn. Nach Gustavs Tod etablierte sich Adolf erfolgreich auf dem Gebiet des Werbefilms. Ab den 1960er-Jahren übernahm sein Sohn Peter den Familienbetrieb. Rudolf blieb zunächst bei der Wochenschau und spezialisierte sich nach dem Zweiten Weltkrieg auf Spezialeffekte. Sein Sohn Kurt arbeitet als Produzent, Regisseur und Autor und verwaltet das filmische Erbe von Gustav und Rudolf Mayer, das im Filmmuseum aufbewahrt wird.


Als Produzent und Kameramann der Selenophon Tonfilmschau Austria (1930–1932) dokumentierten Gustav und Rudolf Mayer unter anderem den kurzen Überraschungsbesuch Charlie Chaplins in Wien vom 16. bis 18. März 1931. Chaplin war damals auf längerer Erholungsreise nach der Fertigstellung seines Films City Lights (1931). Um dem Tumult zu entgehen, der ihm überall begegnete, versuchte er "in aller Heimlichkeit" Wien zu besuchen. Wie sich schnell zeigen sollte, ein unmögliches Unterfangen für solch eine weltberühmte Persönlichkeit. Denn schon in den Morgenzeitungen konnte man lesen: "Charlie Chaplin kommt heute nach Wien!"

Auf einem LKW stellte Rudolf Mayer seine Kamera auf, um die Ankunft des Zuges um 13:10 Uhr am Franz-Josef-Bahnhof und den "stürmischen Empfang des populärsten Filmstars der Welt" durch angeblich 2.500 Chaplin-Fans aufzunehmen. Wenige Stunden später im Hotel Imperial, in dem Chaplin logierte, gelang es Mayer, ein sensationelles Ereignis einzufangen: Chaplin, der sich mit dem Stummfilm City Lights gegen den Tonfilm per se auflehnte, sprach zum ersten Mal vor einer Tonfilmkamera: "Guten Tag." Zwei kurze Worte, die – so die "Neue Freie Presse" – "eine Liebenswürdigkeit für Wien" bedeuteten. Und das tun sie bis heute.

Oliver Hanley
Erstmals veröffentlicht auf derStandard.at am 30.3.2015

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