Der Film Вена (Wena) entstand aus Aufnahmen, die Kameraleute der Roten Armee während ihres Vorstoßes im Frühjahr 1945 gemacht hatten. Diese Aufnahmen wurden zu einem Dokumentarfilm über die Kämpfe montiert, der ab Juli 1945 in Wiener Kinos gezeigt wurde.
Doch Wena ist nicht nur – wie der oft verwendete deutsche Titel Der Kampf um Wien suggeriert – ein Film über die Gefechtshandlungen in der Stadt. Er behandelt den militärischen Kampf in lediglich sechs seiner etwa 30 Minuten.
Dadurch bekommt der deutsche Titel doch mehr Berechtigung, als er zunächst zu haben schien: Der Kampf wird nicht nur im Film ausgetragen, sondern auch durch den Film. (Wena war tatsächlich einer der wichtigsten sowjetischen Propagandafilme im Österreich der unmittelbaren Nachkriegszeit, seiner Premiere wohnten immerhin Staatskanzler Renner und der sowjetische Stadtkommandant Blagodatow bei.) Das Ziel dieses Propagandakampfes ist leicht zu erkennen: Die Sowjetunion soll als Garant und Schutzmacht eines unabhängigen Österreichs dargestellt werden. Das äußert sich eklatant in der ständigen rhetorischen Trennung zwischen deutschen Nazis und leidendem Österreich im Off-Kommentar. So trug auch Wena dazu bei, dass ein Aspekt der Moskauer Deklaration von 1943 zum Opfermythos generalisiert und verkürzt wurde – ein Mythos, der bis heute höchst wirkmächtig ist.
Und es äußert sich in der Schlussszene, auf die der Film zuläuft: Die ganze Stadt versammelt sich am 29. April 1945 vor dem Parlament, das in einem Festakt der österreichischen Regierung übergeben wird. Die Straßen sind davor schon voller Menschen, doch nun tanzen sie sogar vor Freude, tanzen im Schutze der Roten Armee. Und die albumhaften Ausflüge in die Geschichte des Landes bekommen eine weitere Funktion: Die Stadt der Musik feiert natürlich Walzer tanzend, das Parlament – an einer früheren Stelle als "eines der schönsten Gebäude der Stadt" bezeichnet – ist jetzt nicht nur ästhetisch zentral, sondern auch politisch. Die Geschichtsträchtigkeit der Stadt hat erfolgreich von der Gegenwart weggeführt, sodass jetzt von der Vergangenheit bruchlos in die Zukunft übergegangen werden kann.
Stefan Huber
Erstmals veröffentlicht auf derStandard.at am 13.4.2015