Die Rückseite des Films

Wie Filmamateure die Zeit markieren


Eine schöngekleidete Dame befindet sich in einem Garten vor einem Einfamilienhaus, sie hält ein Blatt Papier vor die Filmkamera, auf dem "29. Februar 1964" steht. Das Blatt Papier als einfacher Ersatz für die professionelle Filmklappe ist eine wirksame Strategie, die in Familienfilmen häufig zu sehen ist: So fixieren Filmamateure einen Tag im Leben. Das beschriebene Blatt mit Datum ist ein Instrument des Aufbegehrens gegen das Vergessen, Rebellion gegen das Verrinnen der Zeit.
 

Dieser und ähnliche Filmtricks wurden veredelt von Regisseur D.A. Pennebaker in einer Passage seines Films Don't Look Back (1967), die Jahrzehnte später als "Musikvideo" zurückkehrte. Man sieht Bob Dylan, er schaut in die Kamera, und während (im Off) sein "Subterranean Homesick Blues" zu hören ist, lässt er Blätter fallen, auf denen einzelne Worte des Liedtexts zu lesen sind.

Auf den Blättern eröffnet sich vor unseren Augen die Tiefe der Jahre und deren Verblassen. Wann waren wir an jenem Ort, wann haben wir diese Reise gemacht? Um die Fragen nicht aufkommen zu lassen, verwendet man einen Stift und das Blatt Papier. Aber das Papier bezeugt das Versagen. Der Film nimmt Bewegungen und Taten auf, die sich in der Zeit entwickeln. Der Film bindet die Zeit, nicht den Zeitpunkt. Für das Wann greift man zum Blatt.

Das Gleiche erreichen die Filmamateure auf technisch etwas höherer Ebene, wenn sie Titel oder Zwischentitel in ihre Aufnahmen einfügen. Eine zärtliche Variation über das Thema erscheint in einem Sommerurlaubsfilm.
 
Die Kamera filmt einen Fleck Meeresstrand, wo Hände liebevoll mit Muscheln und Steinchen Ort und Datum in den Sand gesetzt haben. Allen ist es bewusst: Diese Spuren werden von Füßen zertreten oder von Wellen davongetragen werden.
 

 
Paolo Caneppele
Erstmals veröffentlicht auf derStandard.at am 21.12.2015

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