Wenn man glaubt, die Zeit der "großen Entdeckungen" sei vorbei, klingelt zuweilen das Telefon. Mai 2014: Ein Anruf geht im Sammlungsdepot des Filmmuseums ein, der Anrufer möchte einen "alten Film hergeben. Ein paar Tage später langt eine Blechdose ein, darauf in Frakturschrift das Wort "Serpentine". Das Filmmaterial zwei Röllchen aus Nitrozellulose ist zum Teil fest verklebt und schwer zersetzt. Freigesetzte Säure hat die Silberatome in der Filmemulsion an manchen Stellen buchstäblich "aufgefressen", und die Gelatine im Filmstreifen ist stellenweise so weich, dass der Bildinhalt auf dem Träger "rutscht" und das Bild dadurch verzerrt wird. Es bedarf konservatorischer Kleinstarbeit, Kader für Kader, um den Zustand und den Inhalt des Streifens zu bestimmen. Umso größer die Freude, als wir den kurzen Film identifizieren können: Es handelt sich um eine Kopie von Création de la serpentine (1908), einer sogenannten "Féerie" des Kinopioniers Segundo de Chomón (18711929). Obwohl unvollständig, so ist diese Kopie bei derzeitigem Wissensstand ein wertvolles Unikat. In Archiven in Barcelona und Paris sind schwarzweiße, beziehungsweise teilweise kolorierte Versionen dieses Films überliefert, eine davon sogar im raren 28mm-Heimkinoformat. Die Wiener Kopie ist nicht nur durchgängig koloriert, da es sich um ein 35mm-Original aus der Herstellungszeit handelt, ist das Bild nicht nachträglich durch Umkopierung beschnitten, sondern zur Gänze erhalten. Création de la serpentine legt Zeugnis von der handwerklichen Brillanz ihres Schöpfers sowie von der technischen Pracht des frühen Kinos ab. Jede der Vorführkopien war ein mit Schablonen koloriertes Original. Was über die Distanz von 110 Jahren zu uns spricht, ist "gelebte Geschichte", ein Filmstreifen, welcher durch die Hände einer französischen Koloristin gegangen ist, um dann auf der Leinwand wieder und wieder zum Leben zu erwachen. Der erneuten Wiederauferstehung des Films auf der Leinwand stand jedoch die fortgeschrittene Zersetzung, die das Bild in manchen Szenen geradezu aushöhlt und nur mehr Umrisse der Figuren übrig lässt, entgegen. Unserer Archivarin war klar, dass hier kein herkömmliches Kopierverfahren in Frage kam. Der Schweizer Spezialist und Laborbetreiber Reto Kromer vermochte 2017, ebenfalls in Kleinstarbeit, den Film Bild für Bild digital zu scannen. Filmarchivarbeit gleicht auch in anderer Hinsicht der Archäologie: Sie ist oft Handarbeit. Zuerst mussten die verklebten Streifen mechanisch getrennt werden und der Film gereinigt werden; Kampfer wurde als Weichmacher eingesetzt um den Film für das Scannen geschmeidiger zu machen. Chemikalien, die den Prozess beschleunigt hätten wurden vermieden da sie in unvermeidbar und in kürzester Zeit den Film zerstören. Anschließend wurde der Film als Vollbild, inklusive der Perforation, in 4K Auflösung gescannt, was unseren Restaurator/innen erlaubt das Bild nachträglich digital zu stabilisieren. Dies schafft nun die Grundlage für ein neues, auf Film ausbelichtetes Sicherungsnegativ und für die Veröffentlichung dieses Stücks Filmgeschichte auf unserer Website.