Stadtfilme

Rosental, 1924: Die Kleingartenvision eines neuen Wien


Hundert Jahre Erster Weltkrieg – sein Ende bedeutete nicht nur den Untergang Habsburgs, sondern läutete auch eine neue Ära für Wien ein. Die grüne Stadt Rosental bei Wien aus dem Jahr 1924 hält einen Ausschnitt der neuen Zeiten fest: das Kommen der Siedler und Kleingärtner. Der Film ist auf 35-Millimeter-Material – "großes Kino"-Format – gedreht und von knapp elfminütiger Dauer. Inserts geben als Produzenten die "Industrie Film" und das "Siedlungsmuseum Wien" an.
 

Doch wie gar nicht so selten bei Gebrauchsfilmen bleiben Rätsel. Der Film ist ein Puzzle. Neben der titelgebenden Genossenschaftssiedlung Rosental sieht man auch andere, sogar aus dem steirischen Knittelfeld. Werbung hieß 1924 noch "zeigen und benennen", nicht "erzählen". Deshalb gibt uns die Kompilation keine inneren Hinweise darauf, welche die ursprüngliche Anordnung der Szenen hätte sein können. Doch darauf kommt es nicht an. Rosental hält zweierlei für Wien überaus wichtiges fest.
 

Der Stolz der Genossenschaften und ein Piktogramm-Erfinder


Zum ersten: Als nach dem Krieg tausende "wilde Siedlungen" an den Stadträndern geschaffen wurde, blitzte eine neue Idee auf – die alternative Stadt, beruhend auf Eigenarbeit, Selbstversorgung und Kooperation (verhältnismäßig) Gleicher. Das berühmte "Rote Wien", die Stadt der legendären Gemeindebauten, entstand erst später und beendete die Vision zugunsten von Urbanität. Rosental zeigt nochmals, worauf die Genossenschaften stolz waren. (Und ja: Heute wissen wir wie politisch selbst die Bienenzucht sein kann.)

Zweitens aber: Der Film zeigt auch eine Wiener Einrichtung von Weltgeltung und deren Begründer. Das "Siedlungsmuseum" aka "Wirtschafts- und Gesellschaftsmuseum" wurde ein renommiertes Wissenszentrum, und sein Leiter Otto Neurath – der mächtige Mann am Podium mit Glatze und Bart – wird noch heute bewundert wegen der Erfindung der "Wiener Bildstatistik", die (als stets aktualisierte "Isotype") omnipräsent ist. Denken sie an den Herrn, wenn sie nächstens im Multiplex nach den Fluchtweg-Tafeln suchen.

Siegfried Mattl (1954–2015)

Erstmals veröffentlicht auf derStandard.at am 29.9.2014


Details zu Schauplätzen und allgemeine Infos zum Film auf stadtfilm-wien.at


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