Stadtfilme

Wiener Molkerei in den 1920ern: Ernst Lubitsch und die starken Männer


Was ein Betrieb so mit einer Filmkamera anzufangen weiß: Durch das Firmengelände führen, die neuen Maschinen herzeigen, PR-Aktionen mit Promis begleiten, schamlose Werbeerzählungen in Szene setzen. All das und mehr zeigt die Rolle mit Filmmaterialien zur Wiener Molkerei, die 1984 ein ehemaliger Mitarbeiter der Firma dem Österreichischen Filmmuseum übergab. Das Material, datierend aus den 1920er- und 1930er-Jahren, ist fragmentiert und wild durchmischt: Firmengedächtnis als bunter Abend, mehr fürs Archiv zusammengeklebt als für eine Firmenfeier zurechtmontiert.

Ein Massenornament aus Joghurt-Gläsern und das Topfpflanzen-Gießen in einem hellen Firmengebäude, Fließbänder und ein plätschernder Wasserfall, die alltägliche Logistik der Expeditionsrampe und der Trubel um Stargast Ernst Lubitsch am Gelände der Wiener Messe 1927 geraten so unmittelbar aneinander. Und trotzdem spricht aus dem Material nicht nur die aleatorische Poesie der Überlieferung, sondern auch die sehr gezielte Selbstdarstellung eines (1880 gegründeten) Wiener Vorzeigeunternehmens: Diese pendelt in den Jahren um 1930 zwischen betonter Naturverbundenheit und modernem Laborambiente, sowie zwischen gutbürgerlicher Lebenskultur (ein Abschnitt am Ende zeigt ausführlich eine exklusive Kaffeehaus-Filiale in Bad Ischl) und einem schnittigen Amerikanismus der Fließbänder und importierten "Yoghurt"-Sorten.

Weiß blitzen die Kittel und blendet manches Gerät in den Betriebshallen. Mit solcher Reinlichkeitsrhetorik reagiert die WiMo implizit auf verbreitete Hygiene-Bedenken gegen die maschinelle Verarbeitung von Milch als möglichen Tuberkulose-Herd. Auf die suggestive Kraft des Filmbilds vertraut auch ein ziemlich skizzenhafter Werbespot über die kräftigende Wirkung von Milch: Drei Schwerarbeiter hacken und graben ein Loch ins Nirgendwo, zur Stärkung holt man sich aus dem Off frische Milchflaschen. Das ist inszenatorisch nicht eben Lubitsch, aber in seiner Abstraktion schon wieder bemerkenswert.

Joachim Schätz

Erstmals veröffentlicht auf derStandard.at am 24.11.2014

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